Kognitive Bundeswehr “Automobile”

Gastbeitrag von Dietrich Schulze, erschienen am 13.Juli 2016 in der Neuen Rheinischen Zeitung

Autonome Fahrzeuge und Killer-Roboter – Zwei Seiten einer Medaille

In der Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion DIELINKE. Drs 17/2931 [1] wurde Ende 2010 gefragt: »Wird nach Ansicht der Bundesregierung im DFG-Sonderforschungsbereich 28 „Kognitive Auto­mo­bile“, der u. a. am KIT Karlsruhe Campus Nord, der Universität der Bundeswehr München sowie dem Karlsruher Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) (hierin wurde das ehemalige BMVg-finanzierte FGAN-Institut für Optro­nik und Mustererkennung eingegliedert) eingerichtet ist, militärrelevante Forschung betrieben?«

Dazu die Anfrage-Erläuterung: »Zwei der Projektleiter (Dr. Hans-Joachim Wünsche, Universität der Bundeswehr München und Prof. Dr. Jürgen Beyerer vom IOSB sind in andere militärrelevante Projekte im gleichen Themenbereich eingebunden.« verbunden mit Nachfragen zur Zivilklausel am KIT Campus Nord und zur dual-use-Problematik. In der Antwort der Bundesregierung heißt es: Es wird keine militärrele­vante Forschung betrieben. Forschungsziel sind autonome Fahrzeuge für den öffentlichen Straßenverkehr. Die Zivil­klausel-Frage war damit beantwortet. Für die rest­lichen Nichtantworten wird die »grundgesetzlich geschützte Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre« geltend gemacht.

Knapp 6 Jahre später großes Tamtam für »Test­-regio­nen zum autonomen Fahren« rein zufällig in
den beiden oben benannten Städten Karlsruhe [2] und München [3] selbstredend ausschließlich für zivile Fahrzeuge. Was bedeutet überhaupt »kognitiv«?
Laut Duden »das Wahrnehmen, Denken, Erkennen betreffend«. Der Autor möchte diese Fähigkeiten anwenden, um die realen Entwick­lungen in der Zwischen­zeit genauer zu durchleuchten.

Vorsicht, Militär forscht mit

Im März 2011 hatte Michael Billig in der Frankfurter Rundschau – print [4a] und online [4b] – die oben beschriebene vertuschte militärische Forschung treffend charakterisiert. Er berichtet über die indirekte KIT-Teilnahme an einem Wehrtechnik-Kongress mit dem Beitrag „Autonomes Konvoi-Fahren in unstruktu­rierter Um­ge­bung“, weil Wünsche bis vor Kurzem die SFB-Arbeitsgruppe am KIT geleitet hatte. Billig benannte auch die Kritiker-Forderung nach einem klaren Bekenntnis zur friedlichen Wissen­schaft, zur Zivilklausel. Der Autor wurde zitiert mit der Darstellung der problematischen Doppel­rolle von Prof. Beyerer als KIT-Lehrstuhlinhaber und Leiter des militärischen IOSB. Auf die Zivilklausel wird später noch eingegangen werden.

TAB-Studie „Unbemannte Systeme“

Im Mai 2011 gab das Büro für Technikfolgenab­schätzung beim deutschen Bundestag (TAB) eine Studie zu “Stand und Perspektiven der militärischen Nutzung unbemannter Systeme” [5] heraus. Wie der link besagt, gibt es am KIT das Institut für Technikfolgenabschätzung (ITAS) unter Leitung von Prof. Armin Grunwald. Das ITAS ist ein Institut des ehemaligen Kernforschungs­zentrums Karlsruhe, früher bedacht auf eine kritische Begleitung der Forschung. Hier nur wenige im Kontext relevante Zitate aus der Studie, in der völlig unkritisch die Rüstung der Bundeswehr am Boden, zu Wasser und in der Luft beschrieben wird.

»Insgesamt strebt das Heer an, mittels unbemannter Systeme den Schutz der Soldaten im Einsatz weiter zu verbessern, aber auch in anderen Fähigkeitskategorien Zugewinne zu erzielen. Für eine zeitnahe Umsetzung der als erforderlich erachteten Systeme wird dabei ein Kompromiss zwischen der langfristigen Perspektive „autonome“ und kurz- bis mittelfristigen Realisierbarkeit gesucht.«

Im Bundeswehr-Jargon wird von »robusten Militäreinsätzen« gesprochen und von »deutscher Beteiligung am Aufbau einer Kernfähigkeit der NATO«. Davon kann sich heute alle Welt ein Bild von der enormen Kriegsgefahr machen, die von der NATO-Osterweiterung unter Beteiligung der Bundeswehr ausgeht.

Ein weiteres TAB-Zitat: »Der  Einsatz von UMS (Unbemannte Militärische Systeme) erhöht  insofern den Schutz der eigenen Soldaten bei Kampfhandlungen, als der direkte Kontakt mit den gegnerischen Streitkräften vermieden werden kann.«

Das ist identisch mit der verlogenen Bundeswehr-Argumentation. Wie viele „gegnerische“ Zivilisten dabei als „Kollateralschaden“ getötet werden, wird besonders bei dem über Ramstein geführten US-Drohnenkrieg sichtbar.

Hunter-Killer-Missionen

Im September 2011 hatte das Online-Portal www.german-foreign-policy.com die friedenspolitisch äußerst bedenkliche Seite des TAB-Berichts in einem zweiteiligen Bericht mit dem Titel „Hunter-Killer-Missionen“ [6] unter die Lupe genommen. Es ist unglaublich, wie im TAB-Bericht alle ver­nünftigen Erwägungen unter militärischen Gesichtspunkten in Orwell‘scher Manier in ihr Gegenteil verkehrt werden.

Urban Operations

Im Januar/Februar 2012 fand in Berlin die Wehrtechnik-Konferenz “International Urban Operations Conference” [7a] statt. Untertitel “Lösung komplexer Herausforderungen in städtischen Gebieten“. Zwei IOSB-Forscher trugen vor über „Netzwerkfähige Aufklärung in städtischem Umfeld – ein viel­fach betriebsfähiger Ansatz“. Dr.-Ing. Christoph Keßler aus dem Institut für Theoretische Elektro­technik und Systemoptimierung (ITE) am KIT trug vor über einen „Multi-Sensor für Innen­raum-Navigationssysteme“. Dessen Spezialdisziplin “Autonome Unbemannte Systeme” [7b] befasst sich mit der autonomen Erkundung von Innenräumen in urbanem Gebiet mittels Mikro-Helikopter incl. Kartierung der Innenräume.

Das Online-Portal www.german-foreign-policy.com hatte bereits im Vorfeld unter dem Titel „Urban Operations“ [7c] zum Charakter der Konferenz erklärt, dass es um Aufstandsbe­kämpfung in den Großstädten der sogenannten Dritten Welt geht. Dazu zählen Spionage- und Überwachungs­techniken, Nachtsichtgeräte zur Verbesserung der Kampffähigkeit bei Dunkelheit bis hin zu Waffensystemen für Bodentruppen. Es geht um die militärische Beherrschung fremder Länder,
um deutsche Kriegseinsätze.

Damit ist der Beweis erbracht worden, dass die eingangs zitierte Behauptung, der SFB “Kognitive Automobile” am KIT und IOSB diene allein zivilen Anwendungen, eine gezielte Unwahrheit ist.

In bundesweiten Friedenskreisen sollte dringend über die Konsequenzen aus den beiden benannten »Test­regio­nen zum autonomen Fahren« nachgedacht werden.

Intel-Forschungszentrum in Karlsruhe

Im März 2012 berichtete die Karlsruher Presse BNN [8], dass der weltweit größte Chiphersteller Intel ein neues Forschungszentrum in Karlsruhe eröffnet hat. Für Intel sei es weltweit das erste Kompetenzzentrum im Automobilsektor. Für den Standort Karlsruhe habe der Ruf der Stadt als Informatik-Hochburg sowie die Nähe zum KIT gesprochen. Intel habe zur Finanzierung des Geschäftsfeldes einen Fonds in Höhe von 75 Millionen Euro aufgelegt.

Es darf wohl davon ausgegangen werden, dass Intel seine Fäden in der Karlsruher »Test­regio­n zum autonomen Fahren« drin hat und auch den weltweiten Transfer der Forschungs- und Entwicklungs-Ergebnisse im Auge hat.

KIT: Ferngesteuertes Fahrzeug für “unsere Jungs draußen”

Bereits im Dezember 2009 hatte der Autor in einem News-Beitrag [8] für stattweb.de auf die Mitteilung des Amtsblatts der Stadt Karlsruhe „KIT: Erster Forschungsneubau in Ex-Kaserne – Konzepte für Fahrzeuge der Zukunft“ reagiert. In fünfzehn Monaten sollte das 8 Mio. Euro teure Gebäude fertig gestellt werden. Dazu kämen noch 6 Mio. Euro für Großgeräte, davon 3,4 Mio. aus der Exzellenzinitiative. Auch heute unvorstellbare Summen. Jetzt wissen wir es genauer, für zivil verbrämte Rüstungsforschung. Da spielt bekanntlich Geld keine Rolle. Bei dieser Gelegenheit war eine andere verschwiegene KIT-Rüstungsforschung aufgedeckt worden, eine neue Kommunika­tionstechnik „Software Defined Radio“ oder „Cognitive Radio“. Nach monatelanger Vertuschung musste Prof. Jondral am Nachrichtentechnischen Institut der Uni Karlsruhe zugeben, dass das Programm militärische Quellen hat und für die Bundeswehr geeignet ist. Das „Cognitive Radio“ wird für multinationale Interventionseinsätze gebraucht. Der perspektivische Schluss des Beitrags lautet: »Die „Initiative gegen Militärforschung an Universitäten“ wird weiter öffentlich informieren und demokratische Unruhe verbreiten.«

IMI-Drohnenforschungsatlas

Im Dezember 2013 wurde der IMI-Drohnenforschungsatlas [10a] heraus gegeben. Christoph Marischka nannte seinen Beitrag auf Seite 26 über das IOSB „Katastrophen-PR für Über­wachungstechnologie“. Auf den Seiten 48-59 wird über Drohnenforschung am KIT/IOSB (Prof. Beyerer) und am KIT-ITE (Prof. Gert F. Trommer) berichtet. Trommer ist seit 1999 Leiter des ITE, zu dem bereits über die Rolle von Christoph Keßler gesprochen wurde. Trommer war Leiter des Bereichs „Flug-Kontroll-Systeme“ bei EADS u. a. an der Entwicklung des Marschflugkörpers Taurus KEPD-350 beteiligt. Seinen Arbeitsbereich „Navigationssysteme zur Flugregelung und Flugfüh­rung“ hat er von EADS übertragen – jetzt unter zivilem Vorzeichen. Nicht erstaunlich sei daher, dass das „Fliegende Auge“ wichtige Impulse für die Entwicklung von Überwachungs­drohnen im zivilen und militärischen Sicherheitsbereich gibt.

Aus der Zitatenliste seien zwei angeführt. Otto Reger in FIfF „Das IOSB – Wie eine renommierte Forschungsinstitution zum effizienteren Töten beiträgt“ [10b] und der Autor in NRhZ „Zivilmilitä­rische Doppelberufung stoppen!“ [10c].

Killer-Roboter stoppen!

Das war alles – vereinfacht ausgedrückt – zivil-militärische Vorfeldforschung zu den Tötungs­maschinen. Auf der Webseite www.killer-roboter-stoppen.de findet sich der Internetzugang der Kampagne gegen autonome Waffensysteme. Hier seien nur die einprägsamen Schlagzeilen nachgezeichnet:

  • Kampagne „Stop Killer Robots“ warnt vor Gefahren künstlicher Intelligenz
  • UNIDIR (Institut der Vereinten Nationen für Abrüstungsforschung) warnt vor autonomen Waffen am Rande der UN-Vollversammlung und den Gefahren von Cyber- Attacken
  • Wissenschaftler warnen in einem Offenem Brief vor globalem Wettrüsten mit autonomen Waffensystemen und sprechen sich für eine weltweite Ächtung autonomer Waffensysteme aus
  • 14 Staaten für ein präventives Verbot von LAWS (Lethal Autonomous Weapon Systems)
  • Pressemitteilung: Unterstützung für Verbot autonomer Waffen wächst – UN Verbotsprozess kommt aber nur sehr schleppend voran

Zivilklausel KIT Campus Nord

In der Kleinen Anfrage [1] wurde die Zivilklausel des KIT Campus Nord angesprochen. Der Campus Nord ist das ehemalige Kernforschungszentrum vor der Fusion mit der Uni Karlsruhe (Campus Süd). Das Kernforschungszentrum verfügt über eine Zivilklausel für die Großfor­schungsaufgaben, zu denen die Kernforschung, die Energieforschung, die Nanotechnologie und anderes mehr zählt. Aufgrund der finanztechnischen und personellen Verschmelzung ist die Unterscheidung in Nord und Süd inzwischen nur noch eine Himmelsrichtung.

Im April 2015 gab es eine Diskussionsveranstaltung mit MdB Sylvia Kotting-Uhl über das Thema „Zivil-militärische Atomforschung am KIT – Schluss damit!“ im Redtenbacher-Hörsaal am Uni-Ehrenhof. Von der Antiatom-Bewegung war entdeckt worden, dass das KIT an der fast geräuschlosen Notkühlung von Atomreaktoren arbeitet, was bestens für die Verhinderung einer Sonarortung von getauchten Atom-U-Boote geeignet ist und auf Interesse bei Atomwaffen-Mächten gestoßen war. Diese Forschung verstößt eindeutig gegen die Bestimmung des KIT-Gesetzes »Zur Wahrnehmung der Großforschungsaufgabe betreibt das KIT im Interesse der Allgemeinheit Forschung und Entwicklung zu friedlichen Zwecken vorwiegend auf dem Gebiet der Technik und ihrer Grundlagen.« KIT hat bis heute erfolgreich alle Initiativen gegen diesen Verstoß abgewimmelt.

In mehreren zitierten Beiträgen finden Sie die positive Erwähnung der hartnäckigen Forderungen der Studierenden und der Friedensbewegung für eine vollgültige KIT-Zivilklausel. Wir bleiben dran. 

Schlussbemerkungen

Ein Manko dieses Berichts ist, dass er sich nicht mit der »Testregion zum autonomen Fahren« in München mit dem Hintergrund der Forschung an der TU München auseinander gesetzt hat. Das liegt ziemlich weit außerhalb der einschlägigen Sachkenntnisse des Autors. Vielleicht greift jemand diese Anregungen auf.

Zum Thema „Haftungsrisiko von autonomen Automobilen“ im öffentlichen Straßenverkehr findet
man wenig Konkretes, obwohl der Fakt doch völlig offensichtlich ist: »Wer haftet und zahlt, wenn es kracht?« Das ist im zivilen Bereich mit Menschen im Automobil hochproblematisch. Bei Killer-Robotern im Krieg ist das alles uninteressant, Völkerrecht hin und her. Es gibt nur zwei vernünftige Lösungen: ● Killer-Roboter stoppen und ächten! ● Krieg als Mittel der Politik ächten!
Quellen:

[1] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/033/1703337.pdf

[2] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160707bnn.pdf

[3] https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/kurz/article/33216/

[4a] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20110319.pdf

[4b] http://www.fr-online.de/studium/forschung-militaer-an-der-uni-,5027854,8243790.html

[5] http://www.itas.kit.edu/pub/v/2011/pegr11a.pdf

[6] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20110927.pdf

[7a] https://www.dwt-sgw.de/fileadmin/redaktion/SGW-Veranstaltungen/2012/2F2_Urban_Ops/Urban_Operations_Programme.pdf

[7b] http://www.ite.kit.edu/uvs.php

[7c] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58171

[8] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20120301.pdf

[9] http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&merker=nfwd&Id=1258

[10a] http://www.imi-online.de/download/drohnenforschungsatlas_2013_web.pdf

[10b] http://fiff.de/publikationen/fiff-kommunikation/fk-2011/fk-4-2011/fk-4-2011-s35

[10c] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18886

[11] http://www.attac-netzwerk.de/fileadmin/user_upload/Gruppen/Karlsruhe/flyer/AG_Frieden/Doku_Veranstaltung_Zivilklausel.pdf


Über den Autor:
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig.
Email
dietrich.schulze@gmx.de

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